Antragsteller*in: | Arbeitsgruppe Anti-Diskriminierung (dort beschlossen am: 13.03.2024) |
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A2: Abgestellt statt eingestellt
Antragstext
Laut Sozialgesetzbuch IX (§219) und der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK)
haben die Behindertenwerkstätten (WfbM) die Teilhabe und Eingliederung von
Menschen mit Behinderung zu leisten. Sie sollen Menschen mit geistigen und/oder
körperlichen Einschränkungen die Fähigkeiten vermitteln, um am regulären
Arbeitsmarkt teilzunehmen und selbstständig für ihren Lebensunterhalt aufkommen
zu können.
Wer einen Blick auf die Statistik wirft, wird jedoch schnell feststellen, dass
zwischen Ziel und Wirklichkeit aktuell ein weiter Weg liegt.
2022 arbeiteten rund 270.000 Beschäftigte in den Arbeitsbereichen der über 700
WfbM. Ein Großteil davon in NRW. Die Quote der Weitervermittlung in den ersten
Arbeitsmarkt lag im selben Zeitraum bei etwa einem Prozent.
Deutschland liegt im internationalen Vergleich in Sachen Inklusion weit zurück.
Wir fordern daher endlich die Umsetzung der UN-BRK! Menschen mit Behinderung
muss es ermöglicht werden, ihren Arbeitsplatz frei zu wählen und selbstständig
für ihren Lebensunterhalt aufzukommen.
Widerspruch im System beenden!
Die Ursache für die geringe Weitervermittlung von Werkstattbeschäftigten auf den
ersten Arbeitsmarkt liegt im System der WfbM selbst. Deren gesetzlicher
Inklusions- und Rehabilitationsauftrag (§ 219 SGB IX) ist mit der gleichzeitigen
Vorgabe zur Wirtschaftlichkeit (§ 12 WVO) in großen Teilen nicht vereinbar. Die
Vermittlung ihrer leistungsstärksten Beschäftigten auf den regulären
Arbeitsmarkt beeinträchtigt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der
Werkstätten enorm. Was das Resultat dieses Zielkonflikts ist, zeigt sich auch an
der Weitervermittlungsquote von lediglich 1%.
In Deutschland müssen Unternehmen, die nicht die gesetzlich vorgeschriebene Zahl
an Menschen mit Behinderung beschäftigen, eine sogenannte Ausgleichsabgabe an
das zuständige Integrationsamt entrichten. Statt einen Anreiz für mehr Inklusion
darzustellen, bietet die Ausgleichsabgabe den Unternehmen die Möglichkeit, sich
„freizukaufen”. Gleichzeitig werden die WfbM und andere Vorhaben zur Teilhabe
schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben partiell durch die Ausgleichsabgabe
finanziert. Demzufolge beruht die finanzielle Planung darauf, dass Unternehmen
zu wenig Menschen mit Behinderung beschäftigen und die Ausgleichsabgabe zahlen
müssen.
Dieses Konzept widerspricht dem gesetzlichen Auftrag der WfbM!
Unternehmen profitieren bei der Produktion in WfbM von geringeren Auftragskosten
und einem ermäßigten Umsatzsteuersatz. Außerdem haben sie die Möglichkeit, 50%
des Rechnungsbetrags auf die Höhe der Ausgleichszahlung, falls diese anfällt,
anzurechnen. Damit wird kein Anreiz für mehr Inklusion im eigenen Unternehmen
geschaffen. Vielmehr bedeutet es, dass die Auslagerung der Produktion oder
Dienstleistungen in Werkstätten für Menschen mit Behinderungen äußerst
profitabel ist und die Unternehmen von der Verantwortung entbindet, selbst zur
Inklusion auf dem regulären Arbeitsmarkt beizutragen.
Mit der Behinderung der Menschen wird Geld verdient. Dieser Zustand ist
inakzeptabel!
Deshalb fordern wir, dass
Reformen auf den Weg gebracht werden, die das System der WfbM umgestalten,
sodass sie ihrem Inklusionsmandat nachkommen können. Denn: Die Werkstätten
müssen endlich ihrem eigentlichen Auftrag, Werkstattbeschäftigte
langfristig in Arbeit auf dem regulären Arbeitsmarkt zu bringen, gerecht
werden.
der reguläre Arbeitsmarkt strukturell so verändert wird, dass er offen,
inklusiv und anschlussfähig ist. Insbesondere müssen Arbeitsplätze
barrierefrei geplant bzw. umgebaut und die entsprechenden Mittel zur
Umsetzung bereitgestellt werden.
Denn: Menschen mit Behinderung müssen überall in der Gesellschaft einen
selbstverständlichen Platz haben - auch auf dem ersten Arbeitsmarkt.
das widersprüchliche Konzept der sogenannten Ausgleichsabgabe abgeschafft
wird.
Dumpinglohn made in Germany
2022 machten die Behindertenwerkstätten einen Umsatz von ca. 8 Milliarden Euro.
Anstatt des Mindestlohns erhalten die Beschäftigten ein Werkstattentgelt von
durchschnittlich 1,46 € die Stunde.
Die Zeit, in der primär Holzspielzeuge hergestellt wurden, ist vorbei. Heute
bieten die WfbM eine Vielzahl an Dienstleistungen und Anfertigungen an, teils
für große Unternehmen. Die Werkstätten werben mit ihrer hohen Qualität und den
günstigen Herstellungskosten sowie den steuerlichen Vorteilen, die es für die
Fertigung in Behindertenwerkstätten gibt.
So kommt es dann auch zustande, dass ein bekannter Fabrikant von Kinderrädern
seine Produkte nur mit dem Siegel „Made in Germany“ schmücken kann, weil die
Montage durch über 400 Beschäftigte in den Werkstätten vorgenommen wird.
Es kann nicht sein, dass Unternehmen sich an solch einem Dumpinglohn-System
bereichern, zumal die Einsparungen durch öffentliche Kostenträger übernommen
werden. Wer nur durch Lohndumping und die Vergesellschaftung von Kosten
wettbewerbsfähig bleiben kann, sollte eventuell das eigene Geschäftsmodell
überdenken.
Es ist außerdem inakzeptabel, dass Menschen, die am 1. Arbeitsmarkt durch
inklusive Programme teilnehmen, unterbezahlt sind und zusätzlich entmutigt
werden, weil ihre Zuverdienste und das Weihnachtsgeld mit ihrer Grundsicherung
verrechnet werden. Dadurch wird das Engagement langfristig auf dem 1.
Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, nicht wertgeschätzt.
Deshalb fordern wir
die Erhöhung des Werkstatt-Entgeltes auf Mindestlohn-Niveau. In einzelnen
Fällen muss dies durch Subventionen der öffentlichen Hand gewährleistet
werden.
die Erhöhung des Freibetrages auf die Grundsicherung.
Streik ist ein Grundrecht!
Wer mit Behinderung in einer Behindertenwerkstätten arbeitet, verfügt über kein
klassisches Arbeitsverhältnis, sondern steht in einem „arbeitnehmerähnlichen
Rechtsverhältnis“ – da ja die Betreuung und Weiterbildung im Vordergrund steht.
Beschäftigte in WfbM können keine Gewerkschaften gründen oder ihnen beitreten.
Anstelle von Betriebsräten gibt es Werkstatträte mit beschränkten Kompetenzen.
Außerdem besitzen die Beschäftigten kein Streikrecht, sodass es ihnen nicht
möglich ist, aus Protest gegen vorherrschende Bedingungen, die Arbeit
niederzulegen.
Deshalb fordern wir
Arbeitnehmer*innenrechte für Beschäftigte der WfbM.
die rechtliche Sicherstellung des Streikrechts für Arbeiter*innen in WfbM
nach Art. 9 Abs. (3) GG.
Politik und Wirtschaft müssen endlich konsequente Inklusion auf dem regulären
Arbeitsmarkt herbeiführen. Dafür muss insbesondere das System der Werkstätten
für behinderte Menschen kurz- beziehungsweise mittelfristig reformiert und
langfristig vollständig überdacht bzw. abgeschafft werden, wie es auch der UN-
Fachausschuss 2015 gefordert hat.
Für eine effektive Inklusion von Menschen mit Behinderung in den 1. Arbeitsmarkt
bedarf es außerdem einer Überarbeitung des aktuell immer noch exkludierenden
Schulsystems. Nur so kann Chancengerechtigkeit beim Einstieg in den Arbeitsmarkt
gewährleistet werden. Als Vorbild könnte das schwedische Modell der “Schule für
alle” herangezogen werden.
Die dafür benötigten finanziellen und personellen Mittel müssen endlich zur
Verfügung gestellt werden.
Begründung
Erflgt mündlich